Menschen mit Behinderungen

Es gibt eine große Lücke im Bereich Inklusion und Arbeit. Die Lücke tut sich auf zwischen Unternehmen und Menschen mit Behinderungen, die nicht zueinanderfinden. Einerseits sagen Arbeitgeber*innen, dass sie Menschen mit Behinderungen gerne einstellen wollen, sich jedoch niemand bei ihnen bewirbt. Andererseits erzählen Menschen mit Behinderungen, dass sie sich bewerben, aber niemand sie zu einem Bewerbungsgespräch einlädt oder ihnen eine Stelle anbietet. Es scheint, als gäbe es so etwas wie ein schwarzes Loch.

Das führt dazu, dass Menschen mit Behinderungen noch immer doppelt so häufig und doppelt so lange erwerbslos sind, wie Menschen ohne Behinderungen. Außerdem arbeiten sie häufiger ungewollt in Teilzeit oder schlecht bezahlt. Dabei gibt es viele Unterstützungen für Unternehmen und behinderte Arbeitnehmer*innen. Diese Unterstützungen kennt aber kaum jemand. Sie sind oft nur mit viel Bürokratie zu bekommen. 

Viele vorgesehene Wege für Menschen mit Behinderungen führen häufig automatisch in nicht inklusive Einrichtungen wie Förderschulen, Werkstätten für behinderte Menschen und Berufsbildungswerke. Ihr beruflicher Lebensweg ist oftmals durch verschiedene Probleme vorbestimmt, zum Beispiel durch:

  • mangelnde schulische Inklusion 
  • fehlende Barrierefreiheit
  • unzureichende Bildung
  • schlechte Beratungsangebote
  • bürokratische Hürden. 

Eingefahrene und fest getrampelte Wege zu verlassen und den eigenen Weg zu finden, bedeutet häufig sehr viel Kraftaufwand. Und nicht jede*r verfügt ober die nötigen Ressourcen dazu. Das ist unfair. Das muss sich ändern!

Hier möchten wir insbesondere Menschen mit Behinderungen Tipps geben, wie der Weg in eine inklusive Arbeitswelt gelingen kann. Denn es braucht viel Wissen und eine gute Portion Mut, inklusive Wege zu bestreiten.

​​Nichts ohne uns in der Arbeitswelt!
Tipps für mehr Inklusion auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt

Rechte kennen

Andi Weiland | Gesellschaftsbilder.de

Inklusion ist ein Menschenrecht und keine Nettigkeit gegenüber Menschen mit Behinderungen. Inklusion bedeutet, dass Menschen mit Behinderungen überall dort sind, wo alle anderen Menschen auch sind. Also auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. In Unternehmen und Betrieben. Es sollte keine Sondereinrichtungen geben, wo nur Menschen mit Behinderung ausgebildet werden oder längerfristig arbeiten. Die UN-Behindertenrechtskonvention schreibt dazu ganz klar: 

» Die Vertragsstaaten (…) erkennen das gleiche Recht von Menschen mit Behinderungen auf Arbeit (an); dies beinhaltet das Recht auf die Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, inklusiven und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wird.«

Mehr Informationen dazu findest du unter Wissenswertes.

Inklusion fordern!

Einfacher gesagt als getan – denn etwas einzufordern braucht sehr viel Kraft und Durchhaltevermögen. Doch es ist wichtig, dass Menschen mit Behinderungen selbst  Inklusion einfordern. Oft akzeptieren Menschen mit Behinderungen einfach die Barrieren, die die Gesellschaft ihnen auferlegt. Das ist internalisierter Ableismus – also die Diskriminierung der Gesellschaft, die viele behinderte Menschen leider selbst verinnerlicht haben. 

Umso wichtiger ist es, dass sich behinderte Menschen gegen diese Barrieren wehren – auch wenn es kräftezehrend ist. Es ist wichtig gegenüber Behörden, wie der Agentur für Arbeit oder dem Jobcenter, Anleiter*innen und Betreuer*innen, Ärzt*innen und Therapeut*innen immer wieder zu betonen, dass Inklusion das ist, was gewollt ist. 

Ableismus


Internalisierter Ableismus bezeichnet das Phänomen, wenn behinderte Menschen die Vorurteile und Diskriminierungen, die sie erleben, unbewusst verinnerlichen oder ihnen sogar bewusst zustimmen.

Die Journalistin Rebecca Maskos sagt, dass Ableismus bedeutet, dass Menschen mit Behinderung nicht als gleichberechtigte Personen angesehen werden. Das kann zum Beispiel passieren, wenn andere über behinderte Menschen entscheiden, ohne sie selbst zu fragen, oder wenn Menschen mit Behinderungen unsichtbar gemacht werden. Auch wenn nicht behinderte Freund*innen und Partner*innen als die „Betreuer*innen“ von behinderten Menschen behandelt werden, obwohl sie das nicht sind. Dann ist das Ableismus.

Ableismus zeigt sich, wenn:

  • alles, was Menschen mit Behinderungen tun, auf die Behinderung zurückgeführt wird.
  • man glaubt, dass behinderte Menschen bestimmte Eigenschaften haben, weil sie behindert sind.
  • man denkt, dass das Leben behinderter Menschen sich nur darum dreht, die Behinderung zu überwinden.

Ein Beispiel für Ableismus ist:

wenn man denkt, dass eine Behinderung unglücklich macht und behinderte Menschen sehr mutig sind, weil sie trotzdem ein gewöhnliches Leben führen.

Ableismus zeigt sich auch, wenn:

  • Menschen glauben, Menschen mit Behinderungen seien in allem hilflos oder unfähig.
  • Menschen mit Behinderungen Lob bekommen, nur weil sie mit einer Behinderung am Leben teilnehmen.
  • Menschen sie beneiden, weil sie Behindertenparkplätze, Ausweise oder mehr Urlaubstage bekommen.
  • Die Frage gestellt wird, ob das Leben behinderter Menschen lebenswert ist oder ob sie eine Last für ihre Familien sind. 

(Mehr dazu findet ihr bei Die Neue Norm)

Seid ihr von internalisiertem Ableismus betroffen?

Einige Beispiele von Vorurteilen, die Menschen mit Behinderung sich zu eigen machen sind:

  • Der Gedanke, dass ihr als behinderte Person nicht gut genug seid.
  • Sich mit anderen Menschen (negativ) zu vergleichen.
  • Der Gedanke, dass ihr anderen Menschen zur Last fallt.
  • Der Gedanke, dass ihr als behinderte Person Vorkehrungen und Nachteilsausgleiche nicht verdient habt (z.B. weil ihr nicht „behindert genug“ seid).
  • Die Reaktionen anderer Menschen auf die eigene Behinderung zu verinnerlichen und diese bereits in eigene Handlungen aufzunehmen.
  • Sich wenig zutrauen.
  • Diskriminierende Ratschläge ernst nehmen.

Nichts über uns ohne uns!

Dieses Motto der Behindertenbewegung sollte auch in der Arbeitswelt gängige Praxis sein. Das heißt, Menschen mit Behinderungen sollen überall mit einbezogen werden, wenn es um sie geht. Im englischsprachigen Raum heißt es sogar mittlerweile “Nichts ohne uns!” Menschen mit Behinderungen sollen überall mit dabei sein, nicht nur bei Themen mit einem Bezug zu Behinderung. In diesem Sinne, liebe Menschen mit Behinderungen: Fordert, dass ihr überall mit einbezogen werdet! 

Dieses Einbezogen-sein ist wichtig für die Selbstbestimmung der Menschen mit Behinderungen, aber auch die Unternehmen profitieren davon. Studien zeigen, dass vielfältige Teams auf bessere Lösungen kommen. Teams mit unterschiedlichen Menschen haben bessere Ideen, sie entwickeln bessere Produkte und finden neue Lösungen. Auch die Kommunikation innerhalb der Teams und in Unternehmen wird durch Vielfalt verbessert. Menschen mit Behinderung sollten deshalb überall dabei sein. Wir finden: Es muss aufhören, dass über Menschen mit Behinderung gesprochen wird, statt mit ihnen. 

Behinderungen sind vielfältig - Arbeitsplätze auch. Das bedeutet, es gibt eigentlich keine Arbeit, die nicht auch durch einen Menschen mit Behinderung gemacht werden kann. Es braucht ggf. nur die nötige Unterstützung. 

Netzwerke und Unterstützung

Insbesondere im Bereich Arbeit sind Beziehungen besonders wichtig. Netzwerke erhöhen die Chancen auf einen guten Arbeitsplatz sehr. Sie geben euch Informationen über entsprechende Unterstützungsmöglichkeiten. Gerade Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen entstehen oft über Kontakte aus dem Freund*innen- und Bekanntenkreis. Spezielle Arbeitsgruppen oder Beratungsstellen wissen darüber hinaus etliches über Menschen mit Behinderung in Arbeit. In manchen Städten und Gemeinden gibt es zum Beispiel Arbeitskreise zum Thema Inklusion und Arbeit. Der Integrationsfachdienst oder auch Kontakt-, Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen zu eurer Behinderung können weiterhelfen. 

Eine sehr gute Beratungsstelle für Menschen mit Behinderungen ist die Ergänzende unabhängige Teilhabeberatungen, kurz EUTB. Die EUTB bieten Beratung zu allen Themen an und werden oft von Menschen mit Behinderungen selbst geleitet. Diese sind gut in den jeweiligen Regionen vernetzt. Neben den EUTB kann auch der Integrationsfachdienst in der Nähe des Wohnortes ein guter Ansprechpartner sein, um Möglichkeiten und Chancen für eine Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu finden. 

Gleichzeitig sind Netzwerke sehr sinnvoll, um im großen Bürokratie-Dschungel einen Durchblick zu erhalten und potentielle strukturelle Hürden, auf die ihr stoßt, abzubauen. Unterstützung bei der Arbeit zu bekommen, bedeutet oft einen großen Stapel an Papierkram. Es müssen Formulare ausgefüllt, Kopien von Schwerbehindertenausweis oder medizinische Gutachten beigefügt werden und manchmal braucht es noch eine Stellen- und Aufgabenbeschreibung, die erstellt werden muss. Den Überblick zu behalten, ist nicht leicht. Menschen mit Behinderungen sollten nicht davor abschrecken, anderen Menschen von ihren Wünschen und Vorstellungen von einer inklusiven Arbeit zu erzählen und gegebenenfalls weitere Unterstützer*innen mit einzubeziehen. Es ist wichtig, dabei  Verbündete zu suchen, die dabei unterstützen, das Vorhaben “inklusiver Arbeitsmarkt” umzusetzen und durchzusetzen. Das können Eltern, Familie, Freund*innen, Bekannte oder Menschen sein, die dafür bezahlt werden, behinderte Menschen zu unterstützen, z. B. ein*e Sozialarbeiter*in. 

Es kann passieren, dass im Laufe des Prozesses unschöne Dinge passieren, die eine Beschwerde notwendig machen. Das kann sein, weil z.B. eine Diskriminierung passiert. Dann muss die Beschwerde nicht immer gleich zum Bundespräsidenten, bei dem ihr euch beschwert  – kann es aber, wenn es besonders brisant ist und eine große Diskriminierung passiert. Wichtig ist, strategisch vorzugehen und sich an Hierarchien zu halten. Es müssen nicht alle Instanzen gleichzeitig angeschrieben werden. So sollte erst die*der Behindertenbeauftragte der Stadt, dann des Landkreises und dann des Bundeslands einbezogen werden. Man sollte sich gut überlegen, wann man wen einsetzt. Außerdem ist es wichtig, seine vorhandene Kraft gezielt einzusetzen. Auch ist die Energie eines jeden Menschen begrenzt. Nur mit beständiger Energie über eine gewisse Zeit ist eine Veränderung zu erwarten. Zur richtigen Zeit kann ein Interview in der Presse nötigen Druck erzeugen. Dabei ist zu bedenken, wem was wann erzählt wird und dass sich dann unter Umständen die Fronten verhärten könnten. 

EUTB: Die Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB®) unterstützt und berät Menschen mit Behinderungen, von Behinderung bedrohte Menschen, aber auch deren Angehörige, unentgeltlich bundesweit zu Fragen der Rehabilitation und Teilhabe.

Keine Angst vor Ämtern!

Ämter und Behörden sind dazu da, Teilhabe zu ermöglichen. Auch wenn Menschen mit Behinderung oft andere Erfahrungen machen – es ist wichtig, das nicht zu vergessen. In Ämtern und Behörden arbeiten auch nur Menschen. Manche sind nett und kompetent, andere machen ihre Arbeit nicht gut. Umso klarer Menschen mit Behinderungen wissen, was sie brauchen und wollen, umso besser können Rechte eingefordert werden. Und dadurch können auch die Mitarbeiter*innen in Ämtern besser unterstützen. Es ist wichtig, sich gut vorzubereiten. Oft kennen die Menschen in den Ämtern nicht alle Möglichkeiten und leider sind auch sie nicht immer frei von Vorurteilen gegenüber Menschen mit Behinderungen. Deshalb ist es wichtig, die Erwartungen klar zu kommunizieren und zu sagen, was gewollt ist und was infrage kommt. Wir empfehlen, sich klar und bestimmt zu verhalten, aber freundlich. Ihr solltet erstmal davon ausgehen, dass behinderten Menschen nichts Schlechtes gewollt wird. Die Mitarbeiter*innen machen ihre Arbeit meist aus dem Anspruch heraus, etwas Gutes zu tun. Insofern freuen sie sich auch über ein mündliches Danke oder über den Wunsch eines schönen Wochenendes.

Bevor ihr etwas beantragt oder in ein Gespräch mit einem Amt geht, kann es hilfreich sein, sich in die Lage der dortigen Mitarbeiter*innen zu versetzen. Überlegt euch mögliche Einwände und sammelt Argumente dagegen. 

Zwar sind viele Ämter dazu angehalten, Gelder sparsam zu verwenden, doch solltet ihr nicht selbst diesen Einsparungsgedanken übernehmen. Es ist wichtig, sich nicht selbst schon Grenzen zu setzen. Wir empfehlen euch deshalb, lieber erstmal groß und visionär zu denken, bevor ihr euch einschränkt. So habt ihr mehr Spielraum, um mit dem Kostenträger zu verhandeln. Lieber zu viel beantragt als zu wenig. Gelder, die nicht benötigt werden, können immer zurückgezahlt werden. Eine Unterstützung, die nicht in Anspruch genommen wird, wird gegebenenfalls dann eingestellt. Der Gesellschaft geht also nichts verloren. 

Solltet ihr dennoch schlechte Erfahrungen machen:  empfehlen wir, sich nicht davor zu scheuen, sich an eine höhere Stelle – wie die Teamleitung – zu wenden. Die Kontaktdaten der entsprechenden Person findet man meist im Internet. Auch hier sind Verbündete wichtig, die ggf. Erfahrungen bezeugen können. Im Ernstfall hilft es auch, die Öffentlichkeit und die Presse zu informieren, jedoch sollte dies die letzte Option sein. Zuvor gibt es immer die Möglichkeit, eine unabhängige Beratung einzuholen oder einen Rechtsbeistand mitzunehmen.

Menschen mit Behinderung und anderen Expert*innen in eigener Sache “folgen”

Auf Ideen und Lösungen zu kommen und herauszufinden, was für eine*n das Richtige ist, ist nicht immer einfach. Manchmal weiß man einfach nicht weiter. Um neue Ideen und Anregungen zu bekommen und die eigene Denkweise zu erweitern, ist es deshalb oft sinnvoll, anderen Menschen mit Behinderungen online zu folgen, ihre Blogs zu lesen oder Podcasts anzuhören. Oft kann man sich bei anderen Menschen mit Behinderung etwas abschauen oder für sich anpassen. Es ist wichtig zu wissen, dass man nicht alleine ist. Bestimmt hat eine andere Person mit Behinderung schon ähnliche Probleme gehabt. Lösungen gibt es oft schon irgendwo, man muss sie nur noch finden. 

Wir finden beispielsweise die Inhalte dieser Menschen gut: 

Optimistisch bleiben und gut zu sich sein

(c) Andi Weiland | Gesellschaftsbilder.de

Bei all den Barrieren und Vorurteilen, auf die Menschen mit Behinderung alltäglich stoßen, ist es schwierig, nicht zu verzagen. Das System ist schlecht, und nicht Menschen mit Behinderungen! Umso wichtiger ist es, gut zu sich selbst zu sein. So ist es oft hilfreich, sich mit Menschen zu umgeben, die einem guttun. Ebenfalls sind kleine Dinge und Belohnungen wichtig, die euch wieder aufbauen und euch Energie zurückgeben. Sich für die eigenen Belange und die Inklusion auf dem Arbeitsmarkt einzusetzen, kostet viel Kraft. Wir empfehlen deshalb, sich Zwischen-Ziele zu setzen und diese gebührend zu feiern.

Seid geduldig und gut zu euch selbst! Menschen mit und ohne Behinderungen wissen, dass nicht alles perfekt ist. 

Leitfaden Empowerment

Diese und weitere Tipps und Unterstützungsmöglichkeiten haben wir hier für euch in einer Broschüre (pdf) zum Herunterladen zusammengestellt:

Dir reichen die Infos hier noch nicht? Du willst dich mit einem Thema noch mehr beschäftigen? Hier geht es weiter zu Wissenswertes.

Dir ist das alles zu theoretisch? Du willst dein Wissen in die Praxis umsetzen? Dann schau gerne bei unseren Veranstaltungen vorbei. 

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