Während andere am 17. September den Schichtwechsel begehen, machen wir das ganze Jahr über den Blickwechsel. #StellMichEinNichtAb

Für die „Schichtwechsel“ Kampagne tauschen Beschäftigte aus Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) an einem Tag im Jahr den Arbeitsplatz mit Arbeitnehmer*innen aus Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarkts. Diese Kampagne veranlasst uns einige Fragen zu stellen und kritisch auf den Schichtwechsel zu schauen. Über die Navigation kannst du dich direkt zu den einzelnen Themenbereichen klicken:

Vorne weg:

Wir wollen, dass Menschen mit Behinderung nicht mehr in Werkstätten arbeiten müssen. Wir wollen, dass Alternativen zu den Behindertenwerkstätten entwickelt werden und, dass bereits bestehende Alternativen genutzt werden. Werkstätten müssen viel mehr dafür tun, dass Menschen mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten. Denn das ist ihr Auftrag!

Werkstätten vermitteln nur etwa 1% ihrer Beschäftigten in Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt

Laut der Bundesarbeitsgemeinschaft WfbM bietet der Schichtwechsel Aktionstag den Werkstätten die Möglichkeit der gezielten, einheitlichen, öffentlichen Wahrnehmung. Der Tag stellt Werkstätten öffentlichkeitswirksam als etwas rundum positives dar. Doch wir sehen diesen Tag des Schichtwechsels sehr kritisch.

Wir finden, dieser Tag tut mehr für das gute Gefühl der Menschen ohne Behinderung, als dass es den Beschäftigten aus den Werkstätten nachhaltig etwas bringt.

Können an einem einzigen Tag Berührungsängste abgebaut werden?

Entstehen durch den Schichtwechsel wirklich Praktikumsplätze oder sogar Arbeitsplätze? 

Beschäftigte in Werkstätten verdienen nur ein Taschengeld von zwischen 80€ bis 180€ monatlich

Wir hoffen sehr!
Doch glauben wir, dass der Schichtwechsel eher eine Image-Kampagne der Werkstätten ist. Er zeigt ausschließlich ein positives Bild der Werkstätten. Dabei sind Werkstätten eigentlich kritisch zu hinterfragen:

  • Was bringt dieser eine Tag den behinderten Beschäftigten in den Werkstätten wirklich? 
  • Kann dieser Tag die freie Wirtschaft sensibilisieren, mehr behinderte Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt anzustellen? 
  • Kann dieser Tag darüber hinwegtäuschen, dass die behinderten Beschäftigten in den WfbM zwar gute Arbeit leisten, dafür aber nur ein Taschengeld erhalten?

Warum kritisieren wir die WfbM?

Werkstätten schaffen exklusive Strukturen. Sie sorgen dafür, dass wir uns dem Problem “Wie schaffe ich Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung?” entledigen.

Menschen mit Behinderung werden in Werkstätten aus dem Blick der Gesellschaft geholt. Sie sind in ihrem eigenen System. Wenig  dringt nach Innen oder nach Außen. Die Mehrheitsgesellschaft denkt: “Andere kümmern sich sicher schon gut um die Menschen mit Behinderung und damit um die Inklusion.” Und damit ist das Thema aus den Köpfen vieler Menschen. Niemand schaut genau hin, wie es den Beschäftigten vor Ort geht. Ob es nicht auch bessere Alternativen für sie geben könnte.

Dieses “Aus den Augen, aus dem Sinn” widerspricht der UN-Behindertenrechtskonvention. Deutschland wurde für die exklusive Werkstätten-Struktur bereits mehrmals von der UN kritisiert. Deutschland soll Maßnahmen schaffen, damit mehr Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten können. 

In Behindertenwerkstätten fließt viel öffentliches Geld. Dieses Geld sollte lieber genutzt werden, dass mehr Menschen inklusiv arbeiten können. Menschen mit Behinderung sollen in Betrieben tätig sein, die sie selber ausgesucht haben. Dort sollen Sie die Unterstützung bekommen, die Sie brauchen. 

Behindertenwerkstätten produzieren hochwertige und moderne Produkte und bieten professionelle Dienstleistungen an. Sie passen sich dem Markt an. Werkstätten erzeugen einen wirtschaftlichen und sozialen Mehrwert. Werkstätten erwirtschaften Gewinne. Deshalb unterliegen sie auch den Gepflogenheiten des Marktes und sind gar nicht so sozial, wie viele Menschen glauben.

Der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen kritisiert das deutsche Werkstattsystem

Wie das System der Behindertenwerkstätten Inklusion verhindert und niemand etwas daran ändert

Unsere Kritik an dem System der Werkstätten für behinderte Menschen und der Zusammenarbeit mit Firmen plus Staat haben wir hier in einem größeren Artikel zusammengefasst.

Grafik mit der Überschrift "Behindertenwerkstätten behindern". Auf einem Foto sind drei Männer in einem Büro-Kontext zu sehen. Links neben einem der Männer steht geschrieben: Alexander Abasov arbeitet lieber als Grafiker. Unten rechts ist das "Blick-Wechsel"-Logo zusehen und der Hashtag #StellMichEinNichtAb

Argumente, die immer wieder für Behindertenwerkstätten sprechen, aber nicht richtig sind:

"Durch Behindertenwerkstätten gelingt eine Teilhabe an der Gesellschaft."

Durch die Werkstatt wird keine Teilhabe am (Arbeits)Leben ermöglicht. Die Werkstatt ist eine Sonderwelt. Dort arbeiten nur Menschen mit Behinderung. Werkstätten widersprechen damit den Menschenrechten. Teilhabe findet in ganz normalen Betrieben statt. In den Betrieben arbeiten Menschen mit und ohne Behinderung.

Menschen mit Behinderung bekommen in einer Werkstatt keine faire Bezahlung. Der gesetzliche Mindestlohn gilt nicht. Sie bekommen neben einer Grundsicherung nur zwischen 80 und 180 € Taschengeld pro Monat für ihre Arbeitsleistung.

Werkstätten müssen wirtschaftlich sein. Die Beschäftigten arbeiten oft sechs bis acht Stunden am Tag. Oft müssen sie bestimmte Stückzahlen in einer gewissen Zeit zu erreichen. Das ist Akkord- und Fließbandarbeit. Das sind Arbeiten, bei denen Menschen genauer und günstiger als Maschinen sind. Wenn die Beschäftigten nicht mehr so viel schaffen, kann es sein, dass sie auch weniger Geld bekommen.

Um in einer Werkstatt arbeiten zu können, müssen Menschen mit Behinderungen etwas leisten können. Im Gesetz steht: Sie müssen ein Mindestmaß an Wirtschaftlichkeit mitbringen. Also nicht alle Menschen mit Behinderung dürfen in einer Werkstatt arbeiten. In den letzten Jahren hat sich der Kreis der Beschäftigten stark verändert:

Während früher hauptsächlich Menschen mit Lernschwierigkeiten, einer

sogenannten geistigen Behinderung, in WfbMs beschäftigt waren, wächst heute der Anteil von Menschen mit psychischen Erkrankungen stetig.

"Behindertenwerkstätten bringen Menschen in den allgemeinen Arbeitsmarkt."

Es ist die gesetzliche Aufgabe von Werkstätten, dass die Beschäftigten für den allgemeinen Arbeitsmarkt vorbereitet werden. Dieser Aufgabe kommen Werkstätten kaum nach. Nur ein Prozent schafft seit vielen Jahren den Weg aus der Werkstatt in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

Es gibt viele andere Möglichkeiten, wie die Arbeit von Menschen mit Behinderung unterstützt werden kann. Eine ist die Unterstützte Beschäftigung. Eine andere Möglichkeit kann das Budget für Arbeit sein.

"Behindertenwerkstätten helfen bei der beruflichen (Fort-)Bildung."

Es ist bewiesen, dass Menschen mit Behinderung in inklusiven Strukturen mehr lernen. Es ist nachgewiesen, dass Menschen mit Behinderungen dann erfolgreicher sind und bessere Ergebnisse erzielen als Menschen mit ähnlichen Behinderungen in einer speziellen Einrichtung. Außerdem sind sie weniger von Stigmatisierung betroffen. Sie entwickeln ein positiveres Selbstbild. Sie stärken ihr Selbstbewusstsein. Menschen mit Behinderung die inklusiv lernen, sind eher in der Lage einen höheren Abschluss zu erreichen. Insgesamt haben sie damit bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

"Die Beschäftigen leben in einem inklusiven, sozialen Umfeld."

In Werkstätten arbeiten viele Menschen mit Behinderungen. Sie haben wenig Kontakt zu Menschen ohne Behinderung. Die wenigen Menschen ohne Behinderung in einer Werkstatt sind Gruppenleiter*innen. Sie haben das Sagen. Sie sprechen mit Kund*innen und Lieferant*innen. Sie verdienen auch viel mehr.  

Die Organisation hinter einer Werkstatt ist oft ein großer Träger der Behindertenhilfe. Diese Träger haben häufig auch Wohnheime für die Beschäftigten. Das bedeutet, das ganze Leben – also Arbeit, Wohnen, Freizeit – der Menschen mit Behinderung findet in einer Einrichtung statt. Oft sind diese Einrichtungen auf dem Land oder am Stadtrand. Die Wissenschaft nennt das „totale Institutionen“. Der Soziologe Erving Goffman untersuchte, welche Auswirkungen dies auf die Menschen hat. Er stellte fest: Diese Systeme begünstigen Gewalt und Missbrauch. Sie sind in sich geschlossen. Es gibt keine soziale Kontrolle von außen.

"Menschen mit Behinderung sind stolz in einer Werkstatt zu arbeiten."

Die Arbeit in einer Werkstatt ist nicht anerkannt. Vielen Menschen mit Behinderung ist es peinlich in der Werkstatt zu arbeiten. Es ist ein Unterschied zu sagen: Ich arbeite in einer Tischlerei oder ich arbeite in einer Werkstatt für behinderte Menschen.

„Ich arbeite in einem normalen Betrieb“ fühlt sich viel besser an. Das führt zu Anerkennung und Akzeptanz.

Selbst wenn bei der Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt etwas schief geht oder man merkt, es braucht bestimmte Unterstützungen, dann kann man diese bekommen. Es gibt viele begleitende Angebote.

"Behindertenwerkstätten bieten weitere Angebote außerhalb der Arbeit an."

Es gibt Menschen, die auch bei der Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt helfen. Das sind Berater*innen oder Bildungs-Begleiter*innen. Sie fördern die persönliche Weiterentwicklung. Sie helfen mit Ämtern oder wenn jemand in einer Krise ist.

Bildungs-Begleiter*innen reden auch mit dem Chef oder den Mitarbeiter*innen. Sie zeigen so den richtigen Umgang mit Menschen mit Behinderung. Manchmal ist Rücksichtnahme wichtig. Manchmal aber auch klare Regeln.

Wenn man viel Hilfe braucht, kann man einen Job-Coach bekommen. Sie helfen solange im Betrieb, bis sich alle wohl und sicher fühlen. Sie unterstützen dabei, Handgriffe und Abläufe zu lernen. Sie helfen Aufgaben zu verstehen oder den Arbeitsweg zu lernen.

Mittlerweile gibt es viele zusätzliche Angebote außerhalb der WfbM: Reisen, Sport oder Musik. Sie fördern die Gesundheit und das Wohlbefinden. Oft sind die Angebote inklusiv. Das heißt sie fördern viel mehr ein Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung. Dies wirkt sich sehr positiv auf alle Beteiligte aus. Alle haben etwas von der Inklusion.

"Menschen mit Behinderung brauchen mehr Zeit"

Menschen mit Behinderung, Lernschwierigkeiten oder psychischen Erkrankungen brauchen oft mehr Zeit, um Aufgaben zu erledigen. Mehr Zeit können sie aber auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bekommen. Der Betrieb kann Gelder dafür bekommen, Menschen mit Behinderung länger anzulernen, mehr Personal oder eine externe Person zur Unterstützung anzustellen. So haben Mitarbeiter*innen mit Behinderung mehr Zeit und weniger Druck.  Für sozialrechtliche und private Unterstützung können Beraterinnen hinzugeholt werden.

"Werkstätten schützen Menschen mit Behinderungen besser:"

Viele Menschen denken: Behinderte Menschen müssen besonders geschützt werden. Eine Werkstatt ist ein “Schonraum”. Menschen mit Behinderung sehen dann nicht die Erfolge von anderen. Sie sehen nicht die eigenen Schwächen. Viele Menschen denken, dass Menschen mit Behinderung traurig und einsam werden, wenn sie denken, dass sie etwas nicht so gut können wir andere.

Menschen mit Behinderung haben auch ein Recht zu scheitern. Aus diesen Erfahrungen lernt man. Menschen mit Behinderung können die Realität vertragen. Auch daran wachsen sie. Die Gesellschaft sollte dafür sorgen, dass Menschen mit Behinderungen verstehen, was schief gegangen ist und welche Möglichkeiten und Lösungen es gibt. Die Gesellschaft sollte bei der Verarbeitung helfen. Die Lösung ist nicht, Menschen mit Behinderung in Watte zu packen. Menschen mit Behinderung sind stark und widerstandsfähig.

Auch in Werkstätten gibt es zum Beispiel Mobbing. Mobbing gegen behinderte Menschen findet überall statt. Behinderte Menschen mobben genauso wie nicht-behinderte Menschen. Die Wissenschaft sagt sogar: Schonräume fördern Gewalt.

"In Behindertenwerkstätten gibt es ordentliche Tagesstrukturen"

In einer Werkstatt haben Beschäftigte eine Tagesstruktur. In Betrieben haben sie die auch. Es gibt bei jeder Arbeitsstelle einen Arbeitsanfang und einen Feierabend. Meistens gibt es gemeinsame Mittagspausen für alle Mitarbeiter*innen.

In einem guten Team, hat man Spaß miteinander. Man wird für seine Arbeit geschätzt.

Leistungen in einer WfbM werden mit einem Taschengeld vergütet. Bei der Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bekommt man mindestens Mindestlohn.

Drei Männer sitzen an einem Tisch un besprechen etwas. Text: Behindertenwerkstätten behindern. Behindertenwerkstätten vermitteln nur 1% ihrer Beschäftigten in reguläre Arbeit. Menschen mit Behinderung brauchen Aufstiegschancen in den allgemeinen Arbeitsmarkt! Blickwechsel Link: jobinklusive.org/blickwechsel

Wir fordern:
Alle sollten sich fragen, ob das System der Werkstätten für behinderte Menschen einen inklusiven Arbeitsmarkt fördert

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    Macht #Blickwechsel! Seid kritisch, wenn positiv ü. Werkstätten f. #behinderte Menschen berichtet wird, informiert Unternehmen, d. Werkstätten beauftragen. Arbeiten behinderte Menschen im Betrieb? http://jobinklusive.org/blickwechsel/ #StellMichEinNichtAb #JOBinklusive #SchichtwechselSpezial