Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) existieren seit der Nachkriegszeit. Seither hat sich kaum etwas an den Strukturen verändert. Gesellschaftlich werden sie als etwas Gutes gesehen und kaum hinterfragt. Warum wir sie aber dringend hinterfragen müssen, zeigen folgende acht, kurz dargestellte, Punkte.
1. Die Beschäftigung in einer WfbM ist das Gegenteil von Inklusion.
Sie führt zur Segregation von behinderten Menschen. Träger von WfbMs sind meist große Träger der Behindertenhilfe, die oft Arbeitsstätte, Wohnort und Freizeitorte in einem vereinen. So arbeiten, wohnen und leben Menschen mit Behinderung oder psychischen Erkrankungen abgetrennt von den der restlichen Gesellschaft. Angestellte, Geschäftsführenden und Anleiter*innen sind fast immer Menschen ohne Behinderung. So entsteht ein klares Hierarchiegefälle von Menschen ohne Behinderung gegenüber Menschen mit Behinderung.
2. Beschäftigte (Menschen mit Behinderung) erhalten keinen Mindestlohn.
Die Vereinten Nationen und viele Selbstvertreter*innen mit Behinderung bemängeln seit Jahren die Entgeltsituation von Beschäftigten und fordern einen Mindestlohn. Im Durchschnitt verdienen Beschäftigte etwa 1,35 Euro die Stunde und die Anwesenheit in der Werkstatt beträgt zumeist zwischen 35 und 40 Stunden die Woche. Eine selbstgewählte Teilhabe an der Gesellschaft und das Erarbeiten des Lebensunterhalts, wie in Artikel 27 UN-BRK gefordert, ist dadurch nicht möglich. Die Beschäftigten sind somit dauerhaft von Sozialleistungen des Staates abhängig. Das geringe Entgelt, das Beschäftigte bekommen, ermöglicht der WfbM sich preislich mit ihren Produkten unter der privatwirtschaftlichen Konkurrenz zu positionieren. Bei schlechter Auftragslage werden nur die Löhne der behinderten Beschäftigten gekürzt – nicht die der Angestellten – obwohl die Beschäftigten keinen Einfluss auf die Akquise von Aufträgen haben.
3. Beschäftigte einer WfbM gelten nicht als Arbeitnehmer*innen.
Sie haben nur einen daran angelehnten Status. Das hat Auswirkungen auf die betriebliche Mitwirkung und das Streikrecht der Beschäftigten. Die Arbeit in WfbM wird als Rehabilitationsmaßnahme gesehen. So können arbeitsrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht werden.
4. Die Vermittlungsquote liegt seit Jahren unverändert bei etwa 1 %.
Und das, obwohl der gesetzliche Auftrag der WfbM Rehabilitation und (Wieder-)Eingliederung der Beschäftigten in den allgemeinen Arbeitsmarkt lautet. WfbMs kommen somit ihrem gesetzlichen Auftrag nicht nach. Ebenso steigt die Zahl der Beschäftigten in WfbMs kontinuierlich an. Vor allem Menschen mit psychischen Erkrankungen, die schon auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gearbeitet haben, werden immer öfter in WfbMs vermittelt.
5. Beschäftigte aus der WfbM berichten, dass kein Empowerment erfolgt,
wenn sie den Wunsch äußern auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu wechseln. Stattdessen wird vor dem Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt massiv gewarnt. Dabei wird mit einem Verlust sozialer Kontakte, der verschlechterten Rentenanwartschaft, und einem Mangel an Sicherheit gedroht.
6. Unternehmen können Aufträge an WfbMs vergeben und sich dann 50 % der Aufträge auf ihre Ausgleichsabgabe anrechnen lassen.
Hierdurch fehlt der Anreiz, die Beschäftigten aus WfbM direkt selbst einzustellen. Es ist einfacher eine Produktion oder Dienstleistung auszulagern, als sich selbst Gedanken über die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen zu machen.
7. Die Leistungen einer WfbM werden mit der reduzierten Mehrwertsteuer von 7 % versteuert.
Dies begünstigt Aufträge an WfbMs zu vergeben. Gleichzeitig müssen öffentliche Stellen keine EU-weite Ausschreibung machen, wenn sie Aufträge an WfbMs vergeben. So profitieren Unternehmen und die öffentliche Hand, aber nicht die betroffenen Menschen selbst.
8. Die gesetzlich vorgeschriebene Wirtschaftlichkeit der WfbM steht im Widerspruch zum gesetzlichen Auftrag, Menschen mit Behinderungen in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu überführen.
Es fehlt ein wirtschaftlicher Anreiz die besten Beschäftigten aus ihrer Produktion auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu vermitteln, da diese die Gewinne erzielen.
Weiterführende Informationen rund um das Thema Werkstätten für behinderte Menschen und das System, das dahinter steckt, finden Sie hier.
Beitragsbild: ThisisEngineering RAEng auf Unsplash
Danke, dass Sie Sich des Themas annehmen, leider sind da ziemlich viele Allgemeinplätze in Ihren Argumentationen aufgeführt, ohne diese auch zu belegen.
1. Sie schreiben von Segretation, dem ist nicht so. Der Gesetzgeber fordert auch ausgebildetetes Fachpersonal, das gewisse Standards erfüllen muss, um mit Menschen mit Behinderung arbeiten zu dürfen. Dabei gibt es einen bunten Strauß an Einschränkungen, die der Gruppenleiter neben seinen Produktionsaufgaben erfüllen muss. Auch auf dem sogenannten “ersten Arbeitsmarkt gibt es Hierarchien, das ist nichts besonderes sondern ganz normal in unserer Gesellschaft. Was ich nicht akzeptabel finde ist, dass Sie den Mitarbeitern unterstellen, sie würden das “Machtgefälle” ausnutzen und nicht für die MmB arbeiten. Solche pauschalen Urteile sind immer sehr gefährlich und anmaßend.
2. Wenn Sie auf die Internetseite der BAG BBW gehen, werden Sie eine Modellrechnung finden, was ein arbeitender Mensch mit Mindestlohn und was ein arbeitender Mensch im Status “Beschäftigter der WfbM” an Leistungen erhält, ich glaube, diese Gegenüberstellung ist aussagefähig genug. Ein Fehler ist zudem zu behaupten, das Werkstattentgelt könne einfach so gekürzt werden, da besteht ein Mitbestimmungsrecht des Werkstattrates.
3. Es ist richtig, dass Werkstattbeschäftigte als Rehabilitanten geführt werden, das hat auch einen gesetzlichen Hintergrund, in die WfbM kann nur derjenige kommen, der weniger als drei Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten kann.
4. Woher nehmen Sie für Sich in Anspruch, den Werkstätten zu unterstellen, sie würden sich nicht um die Vermittlung auf den ersten Arbeitsmarkt bemühen? Erstens ist es besonders schwer einfache, angepasste Arbeitsplätze zu finden, das ist schon für Rehabilitanden in den BBW schwer genug. Wer in der Werkstatt tätig ist, hat verschiedene psychologische Tests zu absolvieren, die bereits in der Arbeitsagentur erfolgen. Dort wird entschieden, ob jemand Anspruch auf einen Werkstattplatz hat und nicht in der Werkstatt.
5. Woher nehmen Sie die Aussage, dass sich Werkstätten gegen eine Vermittlung auf den ersten Arbeitsmarkt stellen, gibt es da Statistiken? Inwiefern haben Sie dazu die gewählten Vertretungen der Werkstattbeschäftigten befragt?
Wieso werfen Sie den WfbM vor, dass Produktionskunden einen Teil der Ausgleichsabgabe anrechnen können?
Wieso profitieren die Werkstattbeschäftigten nicht von den Aufträgen?
Haben Sie sich mit den Finanzierungen der WfbM überhaupt beschäftigt? Mindestens 70% der Gewinne werden an die Beschäftigten ausgezahlt, der Rest ist in Investitionen zu investieren.
Wenn ich Ihre Argumente für mich bewerte, stelle ich eher Vorurteile, als Wissen fest. Das ist wirklich bedauerlich. Ich vertrete die Ansicht, dass es Menschen freigestellt sein sollte, sich seinen Platz in der Gesellschaft, im Arbeitsleben zu suchen und auch zu finden.
Meine Tochter arbeitet in Großbrittannien und dort hat man die Werkstätten geschlossen. Trotz großer finanzieller Unterstützung von Arbeitgebern, die ehemalige Werkstattbeschäftigte beschäftigen würden sind mindestens zwei Drittel der Beschäftigten arbeitslos.
Hallo Herr Klappenbach,
danke für Ihre Rückmeldung zum Artikel.
Dieser Artikel stellt nur eine Zusammenfassung der Thematik dar. Tiefergehende Texte (mit Belegen) finden Sie auf unserer Website, z.B. hier: https://jobinklusive.org/2020/09/14/wie-das-system-der-behindertenwerkstaetten-inklusion-verhindert-und-niemand-etwas-daran-aendert/
Zur Klarstellung: Uns geht es primär um Systemkritik und nicht um Kritik an Mitarbeitenden in der Werkstatt. Wir sind regelmäßig mit Menschen in Kontakt, die in Werkstätten für behinderte Menschen beschäftigt sind oder in anderen Funktionen dort zu tun haben oder hatten. Berichte von Missständen sind allgegenwärtig. Wir wissen auch, dass Werkstätten alleine nicht das Problem lösen werden und wollen diese nicht von heute auf morgen abschaffen. Aber es müssen kritische Fragen gestellt werden, wie der gesamte Arbeitsmarkt inklusiver werden kann. Hierbei stehen Werkstätten in der Pflicht. Darauf hinzuweisen ist Teil unseres Aktivismus’.
Unsere Projektreferentin Anne Gersdorff hat dazu u.a. mit Beatrice Babenschneider, Vorständin der LAG Werkstatträte Berlin diskutiert. https://www.radioeins.de/programm/sendungen/sendungen/7/2109/210917_live_aus_dem_bikini_14537.html
Dem stimme ich voll zu
Vielen Dank für diese transparente Darstellung. Es war mir jahrelang nicht klar, wie die Werkstätte funktionieren und v.a. dass sie keine richtige Alternative sind! Es ist endlich Zeit, dass der Mindestlohn eingeführt wird, und das System reformiert wird
Ich arbeite selber in einer Werkstatt für behinderte Menschen ich komm mir vor als wäre wir doof ich finde es sehr doof dorthin hin zu fahren weil es kaum arbeit gibt und es wird immer schlimmer kaum platz ich weiß nicht wie es erklären soll
UNKLAUPLIG