“Da liegt eine Person regungslos am Boden”, bemerke ich. Zeit, Erste Hilfe zu leisten. Zum Glück ist mir, danke eines Erste-Hilfe-Kurses vor einigen Jahren, bewusst, was getan werden muss. Ruhe bewahren, das Bewusstsein der Person prüfen – mit Ansprache oder Körperkontakt, die Atmung prüfen – irgendwo dazwischen den Notruf wählen. Atmet die Person, lagere ich sie in der stabilen Seitenlage. Atmet sie nicht, versuche ich mich in der Reanimation: 30x den Brustkorb tief genug eindrücken, und dann zweimal meinen Atem spenden. Das wiederholen, bis professionelle Hilfe kommt. Dieses Wissen ist in der Zivilgesellschaft einigermaßen präsent und in Unternehmen ist dieses Wissen je nach Arbeitsbereich und Größe für einen Teil sogar verpflichtend. So ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das Leben dieser Person gerettet werden kann.

Doch was gibt es abseits von unmittelbar erkennbaren Verletzungen oder gesundheitlichen Bedrohungen? Zum Beispiel bei einer Depression? Selbstverletzung? Angst? Substanzmissbrauch oder einer Psychose? Wäre es nicht wunderbar, wenn auch bei solchen Bedrohungen für einen Menschen Erste Hilfe geleistet werden kann? 

Doch scheitert solch eine Ambition oft an der eigenen Unsicherheit, die Sorge dem nicht gewachsen zu sein oder gar das Falsche oder etwas Kontraproduktives zu tun. Auch das Erkennen solcher Problematiken ist herausfordernd. Hemmungen wegen der Tabuisierung des Themas ‘Psychische Gesundheit’ sind ebenso häufig, wie auch die notwendige Praxis bei Laien von Unsicherheit geprägt ist. Doch das ändert sich nun.

Hier setzt ein Konzept an, das sich “Mental Health First Aid” (MHFA) nennt. Analog zur gängigen Ersten Hilfe wird hierbei vermittelt, wie eine Person mit Anzeichen einer psychischen Erkrankung unterstützt werden kann, bis sie professionelle Hilfe bekommt. Dazu müssen psychische Gesundheitsprobleme erkannt werden, also Anzeichen von Symptomen und Risikofaktoren. Und die Kommunikation muss ganz besonders geschult werden, wie eine betroffene Person darauf anzusprechen ist und Hilfe angeboten werden kann. 

MHFA wird seit dem Jahr 2000 in Australien praktiziert. Gegründet wurde das Programm von der australischen Krankenschwester und Dozentin Betty Ann Kitchener, die selbst von Depressionen betroffen ist, und ihrem Ehepartner Anthony Jorm. Das ‘Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim’ hat das Programm  2020 nach Deutschland gebracht. Mittlerweile gibt es das Programm in 26 Ländern. 

Ich habe vor kurzem einen MHFA-Kurs, zusammen mit einigen Kolleg*innen, besucht. Mit viel Feingefühl wurden wir durch die verschiedenen Ausprägungen von mangelnder psychischer Gesundheit geleitet und sensibilisiert, Anzeichen zu erkennen. Es gab praktische Übungen und Handlungsoptionen für all jene Probleme, die häufig in der Gesellschaft vorkommen. Für viele von uns war das prägendste hierbei der Verlust von Berührungsängsten und die konkrete Darstellung von zuträglichen Schritten für die verschiedenen psychischen Gesundheitsprobleme.

Bei dem Kurs wird klar vermittelt, wie die Ansprache aufgebaut werden kann, welche Handlungen empfohlen werden können, wie man sich den Inhalten annähert, wo und welche professionelle Hilfe es gibt oder wie man eine Person auf dem Weg der  Gesundung unterstützen kann. Zuvor gab es eine allgemeine Aufklärung zu den häufigsten psychischen Gesundheitsproblemen in der Gesellschaft. Im Kurs wird die Spezifität der individuellen Person nicht aus dem Blick genommen, denn: Verallgemeinert werden kann gar nichts. Trotzdem gibt es, analog zu einer Wundversorgung oder stabilen Seitenlage, Grundprinzipien für die Erste Hilfe bei psychischen Gesundheitsproblemen.

Die Wirkung von den MHFA-Kursen wurde bereits in mehreren Studien nachgewiesen. Weltweit wurde der Kurs bereits von etwa vier Millionen Menschen besucht. Allein im Geburtsland Australien erreichte das Programm bereits 3 % der Bevölkerung. 

Ob privat oder im beruflichen Kontext, Erste Hilfe ist immer wichtig – ob es die körperliche oder psychische Gesundheit betrifft. Nicht jeder Mensch ist geeignet, Erste Hilfe zu leisten, doch sollte es nicht am Wissen um die Handlungsoptionen scheitern.
Eines ist sicher: Handeln ist immer besser als nicht zu handeln und früher ist besser als später. Dazu befähigt der MHFA-Kurs, der durch verschiedene Träger in Deutschland angeboten wird, unter anderem von der KIP gGmbH (Gesellschaft für Krisenintervention und Krisenprävention).  Der Kurs leistet einen wertvollen Beitrag zu unserem gesellschaftlichen Miteinander und zur Enttabuisierung des Themas psychische Gesundheit.