Seit 10 Jahren ist die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in Kraft. Doch immer noch werden Menschen mit Behinderungen oft auf ihre medizinischen Diagnosen reduziert. Das zeigt sich besonders in der Praxis der Agentur für Arbeit. Doch was müsste geschehen, um einen offenen Blick auf Behinderung im Bereich Arbeit zu haben?
Andere wissen nicht was gut für sie ist.
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Seit 10 Jahren ist die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in Kraft. Doch immer noch werden Menschen mit Behinderungen oft auf ihre medizinischen Diagnosen reduziert. Das zeigt sich besonders in der Praxis der Agentur für Arbeit. Doch was müsste geschehen, um einen offenen Blick auf Behinderung im Bereich Arbeit zu haben?
Oft werden die Fähigkeiten und Zukunftsperspektiven von Menschen mit Behinderungen nur aufgrund medizinischer Diagnosen eingeschätzt. So auch kürzlich bei einer jungen Frau, die nicht in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) arbeiten wollte und deshalb eine Petition startete. Den Ansatz, Menschen mit Behinderungen nur medizinisch zu beurteilen, nennt man das medizinische Modell. Dabei sollte die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) eigentlich dazu beitragen, das medizinische Modell von Behinderung endgültig zu überwinden. Das bedeutet, dass „Behinderung“ nicht mehr ausschließlich aus der Sicht der Medizin betrachtet werden sollte. Denn Behinderung ist kein individuelles Defizit, sondern entsteht durch gesellschaftliche Rahmenbedingungen und mangelndes Bewusstsein für die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung. Denn erst dadurch haben es Menschen mit Behinderungen schwer überall teilzuhaben, und nicht, weil sie bestimmte Dinge nicht können. Die UN-BRK besagt eindeutig, dass die Behindertenpolitik, und damit auch die Verwaltung, aus einer personenzentrierten Perspektive handeln soll. Sie soll weg vom Fürsorgegedanken hin zu gleichberechtigter und selbstbestimmter Teilhabe.
Doch wie handhabt die Agentur für Arbeit es, wenn sie die Arbeitsperspektiven von Menschen mit Behinderung beurteilt? Menschen mit Behinderungen haben in der Regel am Ende ihrer Schulzeit oder beim Eintritt der Behinderung einen Termin bei der Reha-Beratung der Agentur für Arbeit. Bereits an der Wortwahl “Reha” wird deutlich, dass dieses ganze System sehr dem medizinischen Modell verhaftet ist. Denn das Wort Rehabilitation – kurz Reha – bedeutet „Wiederherstellung“. Doch es sollte nicht darum gehen irgendetwas gut oder weg zu machen. Menschen mit Behinderungen müssen so wie sie sind teilhaben können, auch am Arbeitsleben.
Bevor es eigentlich losgeht, bekommen die Reha-Kund*innen – also die Menschen mit Behinderungen – einen Gesundheitsfragebogen zum Ausfüllen. Dort sollen alle Diagnosen, behandelnde Arzt*innen und Therapeut*innen aufgelistet werden. Diese müssen von ihrer Schweigepflicht entbunden werden, damit die Agentur für Arbeit alle Befunde und Diagnosen einsehen kann. So bekommen langjährige Arzt*innen, die die betroffenen Menschen mit Behinderungen gut kennen, die Gelegenheit sich zu äußern. Aber der Fokus liegt hier meist, schon aufgrund des Blickwinkels der Ärzt*innen, auf den Schwächen und medizinischen Defiziten der Menschen mit Behinderungen.
Die Idee dahinter ist, dass es Menschen mit Behinderungen erspart bleiben soll zu ihnen unbekannten Ärzt*innen zu müssen. Doch meist ist trotzdem noch ein weiteres medizinisches und/oder psychologisches Gutachten von Mediziner*innen oder Psycholog*innen der Agentur für Arbeit nötig. Wenn der*die Gutachter*in nicht das entsprechende Wissen hat – weil es sich z.B. um eine seltene Erkrankung oder Behinderung handelt – geht es weiter mit der Begutachtung. Am Ende des Prozesses gibt es eine Stellungnahme, die besagt, ob der Mensch mit Behinderung ausbildungs- oder arbeitsmarktfähig ist oder nicht. Aufgrund dieser Stellungnahme wird dann entschieden, welche Tätigkeit für die behinderte Person geeignet ist und welche Unterstützung sie bekommen soll.
Natürlich macht es Sinn ärztlichen Rat einzuholen. Ein*e Reha-Berater*in kann nicht alle Behinderungen und deren Folgen kennen. Doch Mediziner*innen und Psycholog*innen wissen auch nicht, was alles möglich ist, um Menschen mit Behinderung es zu ermöglichen, eine bestimmte Arbeit auszuüben. Es gibt so viele moderne Hilfsmittel und jede Behinderung äußert sich anders bei jedem oder jeder Betroffenen. Der medizinische Blick kann nur ein Aspekt von vielen im Gesamtbild „Arbeitsfähigkeit“ sein. Es muss immer darum gehen zu fragen, was die jeweilige Person behindert und wie dies verändert werden kann. Für die einen sind es Treppen, für andere fehlende Möglichkeiten der Kommunikation und wieder andere werden durch Verständnisprobleme behindert.
Menschen mit Behinderungen sind die Expert*innen in eigener Sache und wissen am besten, was sie gut können oder eben nicht. Doch von dieser Erkenntnis ist die Agentur für Arbeit noch weit entfernt. Wir sollten als Gesellschaft darauf gucken, was eine Person kann, und welche Unterstützung sie braucht, um ihr Können zum besten zu geben. Das wäre dann der personenzentrierte Ansatz, den die UN-BRK vorsieht und die Politik gerade überall behauptet zu vertreten.
Titelbild: Andi Weiland | Gesellschaftsbilder.de