In Deutschland sind Menschen mit Behinderungen doppelt so oft arbeitslos wie Menschen ohne Behinderungen. Warum ist das so? Ich spreche zurzeit viel mit Unternehmen, die händeringend Fachkräfte suchen. Wenn ich sie frage, warum sie nicht Menschen mit Behinderungen einstellen, sagen sie, es würden sich keine bewerben. Andererseits bekomme ich von den behinderten Menschen zu hören, dass sie sich bewerben, die Unternehmen sie aber noch nicht mal zu einem Bewerbungsgespräch einladen. 

Das, was sich da auftut, nenne ich das Schwarze Loch. Und ein Teil der Erklärung für dieses Schwarze Loch liegt sicher bei den Menschen mit Behinderungen selber. Viel zu oft steht im Fokus, was ein Mensch mit Behinderungen nicht kann. Warum eigentlich? Ein Mensch ohne Behinderungen erzählt potenziellen Arbeitgebern ja auch nicht, was er oder sie alles nicht kann. Wann sprechen wir eigentlich von den Skills, die wir aufgrund unserer Behinderung erworben haben? In einer Welt voller Barrieren sind wir es zum Beispiel gewohnt, souverän mit unerwarteten Situationen umzugehen und Lösungen zu finden. Das ist ein Super-Skill, der in jedem Job Gold wert ist. Wir bringen neue Perspektiven mit ein, die dem Unternehmen helfen, bessere Produkte oder Dienstleistungen zu entwickeln. Nur ist vielen Arbeitgebern das noch nicht bewusst. 

Fehlende Vorbilder 


Menschen mit Behinderungen werden oft von klein auf in Watte gepackt. Das Umfeld meint es oft gut und will einen vor Enttäuschungen und Verletzungen schützen. Aber genau das raubt vielen Menschen das Selbstvertrauen, etwas zu wagen. Lass dir nicht einreden, was du nicht kannst. Wenn etwas nicht klappt, lerne aus der Erfahrung. Im Leben lernt man oft am meisten von Misserfolgen und Fehlern. Viel zu oft wird Menschen mit Behinderungen gerade dieser wichtige Erfahrungsraum genommen. Ich bin selber ein großer Fan vom Mut zum Scheitern. Bewirb dich auf einen Traumjob, der vielleicht etwas außerhalb deiner „Reichweite” ist. Was kann denn schiefgehen? Mehr als den Job nicht zu bekommen, kann nicht passieren. Wenn du dich nicht bewirbst, hast du das „Nein” sowieso schon. Das „Ja” kannst du mit deiner Bewerbung aber immer noch bekommen. 

Menschen mit Behinderungen fehlen oft Vorbilder, mit denen sie sich identifizieren können. Wenn man noch nie von einem Tischler im Rollstuhl oder einer blinden Rechtsanwältin gehört hat, kommt man vielleicht gar nicht auf die Idee, dass diese Berufe einem offen stehen könnten. Setze dich damit auseinander, was Menschen mit Behinderung alles können – lass dich inspirieren. 

Unterstützung in Anspruch nehmen 


Es gibt Gesetze, die dafür sorgen sollen, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten können. So muss zum Beispiel jedes Unternehmen, das mindestens 20 Mitarbeiter hat, fünf Prozent Menschen mit Behinderungen anstellen. Etwa 40.000 Unternehmen in Deutschland tun das aber nicht. Es gefällt mir, was Jürgen Dusel, der Bundesbehindertenbeauftragte, dazu gesagt hat: „Es gibt ein Vollzugsproblem bei den Regeln, auf die wir uns geeinigt haben. Ein Viertel der gesetzlich dazu verpflichteten Unternehmen beschäftigt nach wie vor keinen einzigen Menschen mit Behinderung […]. Wenn ein Viertel der Autofahrer sich nicht mehr an die StVo halten würde, würden wir doch auch handeln.” 

Wir können ruhig mit der Rückendeckung dieser Gesetzeslage selbstbewusster auftreten, wenn wir uns auf unser Recht auf Arbeit berufen. 

Und wenn du schon eine Arbeitsstelle hast, nutze die Unterstützungsangebote, Hilfsmittel und Urlaubstage, die dir zustehen. Es ist dein Recht. Wir Menschen mit Behinderungen setzen uns noch zu oft selber Grenzen. Es gibt schon genug im Leben, was uns behindert, wir brauchen uns nicht auch noch selber im Weg stehen. 

Raúl Aguayo-Krauthausen 

Dieser Kommentar erschien erstmals in der PARAplegiker Zeitschrift 2/2020

Foto: Andi Weiland | Gesellschaftsbilder