Menschen mit Behinderung spüren die Auswirkungen von Corona auf ihr Arbeitsleben unmittelbar. Sie schildern, dass sie trotz ärztlichen Attests wieder zurück zur Arbeit kehren sollen oder es keine Regelungen gibt, wie und ob sie ihre Arbeit fortführen müssen.

In den letzten Monaten ist die Mehrheitsgesellschaft zur Normalität zurückgekehrt – zumindest nacht dem Lockdown im Frühjahr. Während im Politikbetriebt alles darauf hinauszulaufen scheint, einen zweiten Shutdown der Wirtschaft zu verhindern, erreichen uns Nachrichten von Personen, die zur sogenannten vulnerablen Gruppe gehören. Für sie sind die Auswirkungen auf ihr Arbeitsleben unmittelbar zu spüren!

Etwa 40 Prozent der Menschen in Deutschland leben mit einer chronischen Erkrankung. Sie nehmen mit steigendem Alter zu, doch treten sie häufig auch schon bei jüngeren Menschen auf. Viele chronisch kranke Menschen haben ein erhöhtes Risiko auf einen schweren Verlauf bei einer Covid-19-Erkrankung. 

5 einfache Schritten im Umgang mit chronisch kranken Arbeitnehmer·innen:

  1. Nehmen Sie die Ängste und Sorgen der betroffenen Person ernst.
  2. Respektieren Sie Wünsche über bestimmte Hygieneregeln.
  3. Besprechen Sie gemeinsam, was derzeit möglich ist und was nicht. 
  4. Seien Sie offen für mögliche Lösungsvorschläge, die Arbeit anders oder von remote zu organisieren.
  5. Informieren Sie sich umfassend, über mögliche Unterstützungen beziehungsweise langfristige Konsequenzen.

4 nützliche Quellen für mehr Infos:

  1. Bundesarbeitsministerium: “SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard” (PDF-Datei)
  2. Deutscher Gewerkschaftsbund: “Corona und Freistellung: Darf mein Chef mich “freistellen””?
  3. Initiative Neue Qualität der Arbeit
  4. “COVID-19 | Arbeitgeberschutzpflichten gegenüber Risikogruppen” – Eine Einschätzung von F.-J. Düwell (vom 7. April 2020)

Bericht von Joana S, einer jungen chronisch erkrankten Person:

Im September 2019 habe ich eine neue Stelle in einer Klinik begonnen. Tolles Team, herausfordernde Aufgaben, jeden Tag lernte ich dazu. Ich wurde direkt in alles eingebunden, hatte schnell Entscheidungsfreiheit und eine professionelle Einarbeitung. Zum ersten Mal in meinem Arbeitsleben hatte ich geregelte Pausen- und Arbeitszeiten.

Mein Vorgesetzter war sehr zufrieden mit meiner Arbeit und sagte mir mündlich zu, dass mein Vertrag in 2020 auf jeden Fall entfristet werde. War ich in meiner alten Stelle stressbedingt sehr oft krank, hier fehlte ich keinen Tag. Mir ging es einfach gut. Und dann kam Corona.

Ich wollte es unbedingt.

Ich bin mit der unheilbaren Stoffwechselkrankheit Mukoviszidose geboren. Ich kämpfte gegen die Krankheit, gegen Einschränkungen, gegen gesellschaftliche Erwartungen, gegen „Das kannst du nicht.“ oder „Das wirst du nie schaffen“. Ich machte mein Abitur, absolvierte ein Freiwilliges Soziales Jahr und studierte Psychologie. 

Während des Studiums arbeitete ich bereits in einer Praxis, führte Gespräche mit Patient·innen und stellte Diagnosen. Nach dem Abschluss stieg ich motiviert in das Berufsleben ein. Meine Gesundheit litt oft und irreparabel unter meinen beruflichen Plänen. Ich biss die Zähne zusammen, arbeitete Vollzeit, machte Überstunden, übernahm Projekte. Ging zur Arbeit, trotz Bluthusten, einer Lungenleistung unter 25 Prozent und permanenter Atemnot. Ich wollte es unbedingt.

Dann kam ich ins Krankenhaus

Ende Januar 2020 wurden mein Mann und ich krank. So krank, dass wir gut vier Wochen außer Gefecht gesetzt waren. Ich musste sogar ins Krankenhaus. Ob wir uns mit Corona infiziert hatten, kann ich nicht sagen, im Januar gab es hier noch keine Tests. Meine Kolleg·innen reagierten sehr verständnisvoll und nahmen mir das schlechte Gewissen beim krank sein, welches ich jahrelang immer gehabt hatte. Auch mein Vorgesetzter reagierte sehr einfühlsam. Er wusste um meine Schwerbehinderung und grob um mein Krankheitsbild. 

Während dieser Zeit kam es in meiner Klinik zu immer mehr Neuinfektionen und ich war immer mehr verunsichert. Mitte März kehrte ich zur Arbeit zurück. Meine Kolleg·innen waren besorgt um mich, rieten mir, lieber zuhause zu bleiben. Es gab immer mehr Infektionen und kranke Patient·innen, auch auf meiner Station. Ich hielt Rücksprache mit meiner Ärztin. Auch sie sah es kritisch, dass ich weiter in die Klinik ging, und mich so dem Risiko einer Ansteckung mit Covid-19 aussetzte. Wo kommen wir denn da hin, wenn wir die Empfehlungen der Ärztin berücksichtigen müssten. Erfahrungsbericht auf JobInklusive.org

Daraufhin nahm ich Kontakt mit der Betriebsärztin auf und schilderte ihr die Situation. Auch sie war der Meinung, ich solle auf keinen Fall zur Arbeit kommen. Sie wolle eine bezahlte Freistellung empfehlen und ich solle ihr die Unterlagen meiner Ärztin zukommen lassen. Für den Moment riet sie mir zur Krankschreibung, bis alles geklärt sei. Ich besprach dies mit meinem Vorgesetzten, auch er war sehr besorgt und unterstützte den Vorschlag. Ich ließ mich krank schreiben mit mit dem Gedanken, dass in zwei Wochen bestimmt alles geregelt sei. Leider war dem nicht so.

Auf Anraten der Betriebsärztin nahm ich Kontakt mit dem Personalchef auf. Tage später bekam ich zu hören, dass er alles „anwaltlich“ geprüft habe und sie mir keine bezahlte Freistellung genehmigen würden. Dies sei eine freiwillige Leistung, auf die ich keinen Anspruch habe. Mein Einwand, dass die Betriebsärztin eine bezahlte Freistellung aufgrund der Gefährdung und mein Vorgesetzter aufgrund der „nicht im Home Office machbaren“ Tätigkeiten empfehle, sagte er nur: „Wir müssen den Empfehlungen der Ärztin nicht folgen, wo kommen wir denn da hin, wenn wir die berücksichtigen.“ 

Die Betriebsärtzin wollte mir jedoch kein Arbeitsverbot aussprechen. Auch beim Gesundheitsamt kam ich nicht weiter. Ich recherchierte im Internet zu meinen Möglichkeiten, wälzte Paragrafen und Nachrichten. Es stellte sich heraus, dass der Arbeitgeber dazu verpflichtet ist, den Schutz des Arbeitnehmenden zu gewährleisten. Wenn er dies nicht kann, muss er andere Maßnahmen (wie beispielsweise bezahlte Freistellung, Möglichkeiten zum Home Office, Versetzung) einleiten. Insbesondere Personen der Risikogruppe und Schwerbehinderte seien hier zu berücksichtigen. 

Ich bekam das Gefühl, zwischen den Stühlen zu stehen.

Ich nahm Kontakt zu mehreren Anwälten auf und ließ mich beraten. Als Knackpunkte stellten sich der befristete Vertrag heraus und, dass ich keine schriftliche Zusage für eine unbefristete Übernahme hatte. Meine Krankmeldungen seien ein großer Fehler gewesen, so sei ich selber aktiv geworden und der Arbeitgeber hatte daher nun etwas gegen mich in der Hand. Dass die Krankmeldung auf Empfehlung der Betriebsärztin stattgefunden hatte, spiele keine Rolle. Einfach Fehlen dürfe ich aber auch nicht. 

Vom Personalchef erhielt ich eine förmliche E-Mail, dass er eine Freistellung ablehne. Er riet mirzugleich davon ab, wieder zu kommen und meinte, ich solle mich weiter krankschreiben lassen. Wenn er erfahren würde, dass ich wieder zur Arbeit käme, würde er dafür sorgen, dass mein Vertrag vorzeitig aufgelöst würde, er müsse schließlich seiner Fürsorgepflicht nachgehen. Da fiel mir dann auch nichts mehr ein.

In mir kam das Gefühl auf, zwischen den Stühlen zu stehen. Verantwortlichkeiten wurden hin und her geschoben. Im Mai erhielt ich die offizielle Information, dass mein Vertrag Ende August ausläuft. Das heißt, dass ich seit September 2020 arbeitslos bin. 

Und so sitze ich hier, tippe diese Zeilen und weiß nicht, wie es weitergeht. Was mache ich also jetzt? Das, was ich in diesem Jahr gelernt habe: Warten. Warten auf Optionen, um wieder arbeiten zu können. 

Dieser Artikel ist in ähnlicher Form bereits auf Xing erschienen. 

Bildnachweis: Andi Weiland | Boehringer Ingelheim, Gesellschaftsbilder.de