Immer mehr Unternehmen sind sich ihrer gesellschaftlichen Gesamtverantwortung bewusst. Längst ist das Thema Nachhaltigkeit in der Mitte der Gesellschaft angekommen und wird durch Bewegungen wie Fridays for Future oder die Sharing Economy vorangetrieben. Doch seit mit Beginn der Corona-Pandemie in Unternehmen Kurzarbeit und Stellenabbau Alltag sind und Unternehmen befürchten, insolvent zu gehen, wird auch am Engagement für Vielfalt gespart. Dabei ist gerade jetzt die Förderung von Frauen, Menschen mit Migrationsgeschichte und Menschen mit Behinderung besonders wichtig, um soziale Ungleichheit nicht zu vergrößern und um Unternehmen für die aktuellen Herausforderungen stark zu machen. Denn Vielfalt fördert Flexibilität, Kreativität und Innovation.
Inklusion als Dimension der Nachhaltigkeit
Noch viel zu oft wird das Thema Nachhaltigkeit nur im Kontext von Klima- und Umweltschutz verstanden. Dabei bedeutet Nachhaltigkeit soviel mehr, wie die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (englisch: Sustainable Development Goals, SDGs) der Vereinten Nationen (UN) zeigen. Neben großen Zielen wie Frieden und Gerechtigkeit soll auch ein gesundes Leben sowie Bildung für alle gefördert werden. Das SDG-Ziel 8 nennt beispielsweise ganz konkret das Ziel, Menschen mit Behinderung beim Zugang zum Arbeitsmarkt zu unterstützen und hierbei eine produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit zu ermöglichen.
Unternehmen zeigen im Sinne des Corporate Citizenship nachhaltige Verantwortung für die Gesellschaft, in dem sie durch Spenden, Sponsoring oder Arbeitnehmer*innen-Engagement Initiativen und NGOs unterstützen und ihnen dadurch Ressourcen zur Verfügung stellen und Zugänge zu Wirkungskreisen schaffen, die ihnen sonst verwehrt blieben. Gleichzeitig erreichen Unternehmen dadurch auch eine größere Zielgruppe. Um Vielfalt zu fördern, nehmen immer mehr Unternehmen an Programmen und Aktionen teil und bekennen sich öffentlichkeitswirksam zu einer Haltung, die Vielfalt fördert. Die dabei unterzeichneten Statements sind eine Selbstverpflichtung auf dieses Ziel hinzuarbeiten. Doch die Dimension von Inklusion und Behinderung fällt dabei oft hinten runter, obwohl sie im Bereich Arbeit seit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention vor elf Jahren nicht mehr nur eine nette Sache ist, sondern ein Menschenrecht.
Menschen mit Behinderung als potentielle Arbeitnehmer*innen erkennen
Trotz der UN-Behindertenrechtskonvention ist weiterhin unter Menschen mit Behinderung die Arbeitslosenquote doppelt so hoch, als bei jenen ohne Behinderung. Etwa 40.000 Unternehmen in Deutschland bezahlen lieber die sogenannte Ausgleichsabgabe, als die gesetzlich vorgeschriebene Anzahl von Menschen mit Behinderung zu beschäftigen. Zwischen 125 und 320 Euro sind monatlich fällig pro unbesetzten Pflichtarbeitsplatz. Die Gründe, die Pflichtarbeitsplätze nicht zu besetzen, liegen oft in einer fehlenden Vorstellungskraft, was Menschen mit Behinderungen leisten können, oder im Unwissen über Unterstützungsmöglichkeiten.
Gïti Hatef-Rossa und Carina Kühne bei einer Veranstaltung im Kleisthaus in Berlin
Foto: Andi Weiland | Gesellschaftsbilder.de
Ein Unternehmen gewinnt an Glaubwürdigkeit und Vertrauen, wenn es Diversität lebt und Menschen mit unterschiedlichsten Vielfaltsdimensionen beschäftigt. Menschen mit Behinderung zu bedenken, trägt nicht nur zum guten Image bei, sondern auch dazu, dass, eine neue Personengruppe als mögliche Beschäftigte erreicht wird und langjährige Mitarbeiter*innen, gehalten werden. Denn 97 % der Behinderungen werden im Laufe des Lebens erworben und jede*r Zehnte in Deutschland lebt bereits mit einer Behinderung (z.B. Beeinträchtigung des Hörens, Sehens, Gehens oder Lernens). Insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels sind Menschen mit Behinderung eine wichtige Zielgruppe, die in jeder guten Recruiting-Strategie mitberücksichtigt werden sollte.
Barrierefreiheit schafft Nachhaltigkeit
Mit gelebter Diversität allein, ist jedoch noch keine Nachhaltigkeit erreicht. Hierfür bedarf es auch eine barrierefreie Umwelt. Viele Produkte und Dienstleistungen von Unternehmen sind aber bisher noch nicht barrierefrei nutzbar: Barrierefreiheit von Gebäuden kommt sowohl Menschen mit Behinderungen, als auch Eltern mit Kinderwagen und Senior*innen mit Rollatoren zu Gute. Ein angepasster Bildschirmarbeitsplatz ist nicht nur für Personen gut, die ohnehin schon Probleme mit der Wirbelsäule haben. Es kann diese auch individuell vermeiden und so präventiv wirken und das Unternehmen vor langen und teuren Personalausfällen bewahren.
Doch es fehlt oft am nötigen Know-How, wie eine bessere Bedienbarkeit von Produkten gewährleistet werden kann, wie Barrieren in der Kommunikation abgebaut werden können und Zugänge zu Gebäuden geschaffen werden.
Universalmuseum Joanneum
Foto: N. Lackner
Fachtag “AllerArt Inklusion” der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung
Foto: Andi Weiland | BKJ
Von freiwilligem zum verpflichtenden Engagement
Doch nicht nur der soziale Aspekt ist wichtig in Sachen Inklusion und Barrierefreiheit. Beides frühzeitig umzusetzen lohnt sich auch aus Kostengründen, da in naher Zukunft Barrierefreiheit verpflichtend sein wird. Bereits 2019 wurde der European Accessibility Act (EAA) als EU-Richtlinie beschlossen. 2022 wird diese Richtlinie in nationales Recht überführt und muss ab dem 28. Juni 2025 angewendet werden. Verpflichtet werden dadurch grundsätzlich alle Wirtschaftsakteure der Europäischen Union – Einführer*innen, Händler*innen und Hersteller*innen von Produkten sowie Dienstleister*innen. Ausgenommen sind nur Unternehmen, die weniger als zehn Personen beschäftigen und deren Jahresumsatz 2 Millionen Euro nicht überschreitet. Barrierefreiheit wird somit zum Standard und ist keine “besondere Anforderung” mehr.
Nicht nur in den USA mahnen Kanzleien bereits Unternehmen mit fehlender Zugänglichkeit ab. Auch in der Schweiz werden Websites bereits verstärkt abgemahnt, wenn sie gegen Gleichstellung und Barrierefreiheit verstoßen. Die Strafen liegen zur Zeit mindestens im vierstelligen Bereich, sie werden aber in den kommenden Jahren rasant ansteigen. Abmahnungen von über 50.000 Euro sollten dann in Europa eher die Regel als die Ausnahme sein (mehr dazu hier).
Sustainable Business und die Wirkung nach außen
Wer ein Unternehmen leitet, achtet im Sinne des Sustainable Business (dt. ökonomische Nachhaltigkeit) auf eine nachhaltige Gestaltung sowie Finanzierung, bei der Ökologie, Ökonomie und Soziales gleichermaßen eine Rolle spielen und zur Nachhaltigkeit beitragen. Der systematische Abbau von Barrieren in Unternehmen lässt sich nicht mithilfe kurzfristiger Initiativen, Kampagnen oder anlassbezogener Maßnahmen verbessern. Es bedarf vielmehr ganzheitlicher Strukturen und klarer Verantwortlichkeiten, um nachhaltige Ressourcen in Unternehmen zu mobilisieren. Themen der Barrierefreiheit und Inklusion müssen in übergeordneten Unternehmensstrategien wie etwa „Diversity-Strategien“ oder Corporate Social Responsibility (CSR) eingebunden werden. So wird auch nachhaltig die Unternehmensmarke gestärkt, indem Erwartungen von Stakeholdern wie Geldgeber*innen, Presse und Kund*innen langfristig entsprochen und mögliche Fettnäpfchen vermieden werden.
Foto: Andi Weiland | BKJ
Als Expert*innen in eigener Sache unterstützen und beraten wir Unternehmen rund um ihre CSR-Strategie. Im Sinne des Disability Mainstreamings denken wir Menschen mit Behinderung auf allen Ebenen des Unternehmens mit – im Personalrecruiting, bei der Kommunikation und bei der Entwicklung von Produkten. Wenn Sie auch Ihr Unternehmen nachhaltig inklusiver und barrierefreier gestalten möchten, kontaktieren Sie uns über akademie@sozialhelden.de.
Nachtrag der Redaktion:
In den vergangenen Monaten wurden wir immer häufiger gefragt, wie man Inklusion, Diversität und Barrierefreiheit unternehmensweit erfolgreich umsetzt.
Beitragsbild: Andi Weiland | Boehringer Ingelheim, Gesellschaftsbilder.de