Viel zu oft wird davon ausgegangen, dass der allgemeine Arbeitsmarkt zu hart ist für Menschen mit Behinderungen, erst Recht für schwerbehinderte Menschen. Viel zu oft sind Arbeitgeber*innen zu vorsichtig, schwerbehinderte Menschen einzustellen. Dabei können mittlerweile gerade Neueinstellungen mit Job Coaches gut unterstützt und begleitet werden. Das Wissen darüber, was das Instrument Job Coaching kann, wie viel Unterstützung möglich ist und wie der Antragsprozess abläuft, muss daher dringend bekannter gemacht werden.

Wenn ein*e schwerbehinderte*r Bewerber*in in einem Unternehmen angestellt wird, kann er oder sie oft aus unterschiedlichen Gründen nicht gleich ohne Schwierigkeiten durchstarten. Vielleicht fehlt aufseiten der Kolleg*innen Erfahrung im Umgang mit und Wissen über Krankheits- bzw. Behinderungshintergründe. Vielleicht muss der*die neue Mitarbeiter*in noch für den Arbeitsalltag relevante Fertigkeiten erlernen. Vielleicht stimmen auch die firmeninternen Abläufe und Regeln nicht mit den Bedürfnissen und Möglichkeiten der neuen Mitarbeitenden überein.

Job Coaches als Lösung 

Für diese anfänglichen Herausforderungen kann ein Job Coach die Lösung sein. Er*Sie begleitet schwerbehinderte Beschäftigte nach erfolgter Einstellung im neuen Unternehmen – so lange und so umfangreich wie nötig, aber immer mit dem Ziel, selbst nach einiger Zeit nicht mehr gebraucht zu werden.

Das Besondere am Job Coaching für schwerbehinderte Mitarbeiter*innen ist, dass die Unterstützung direkt im Betrieb erfolgt. Die Coaches arbeiten mit und erlernen die Abläufe gemeinsam mit den Beschäftigten – sie sind sozusagen „Kolleg*innen auf Zeit“. Und die Coachings sind passgenau und höchst individuell auf die neuen Mitarbeiter*innen zugeschnitten. Jedes Coaching kann dabei andere Schwerpunkte, andere Methoden oder andere Zielsetzungen beinhalten. Anfangs ist ein Job Coach oft mehrmals wöchentlich für mehrere Stunden im Betrieb. Über die Dauer des Coachings (durchschnittlich ca. sieben Monate, aber alles von ein paar Wochen bis zu einem Jahr ist möglich) verringert sich die Begleitung sukzessive. Entscheidend ist, dass ein Coach von vorne herein auch Ansprechpartner*in für die Vorgesetzten und Kolleg*innen ist. Gemeinsam soll erprobt werden, wie die neuen Mitarbeiter*innen ihre Stärken bestmöglich einsetzen können, ohne dabei überfordert zu werden, und wie Vorgesetzte und neuen Kolleg*innen damit umgehen und ihre eigenen Arbeitsweisen bzw. betriebliche Abläufe anpassen können. Das bedeutet auch: Die Arbeitgeberseite muss “an Bord” sein, damit ein Job Coaching funktioniert.

Job Coaches sind „Expert*innen für betriebliche Inklusion“ mit ausgewiesenem rehabilitationspädagogischen Wissen und mindestens grundlegenden Erfahrungen in den Arbeitsbereichen, in denen sie eingesetzt werden. Sie können sehr genau einschätzen, wann welche Maßnahmen für welche*n Beschäftigte*n Sinn machen – und wann Möglichkeiten auch mal ausgeschöpft sind und ein Coaching nicht den gewünschten Erfolg hat.

Einen Anspruch auf die Unterstützung eines Job Coaches haben grundsätzlich Menschen mit anerkannter Schwerbehinderung (beziehungsweise gleichgestellte Menschen), die wöchentlich mindestens 15 Stunden berufstätig sind. Job Coaches werden in der Regel von Integrationsämtern beziehungsweise Integrationsfachdiensten beauftragt; möglich ist der Einsatz jedoch auch über die Agentur für Arbeit, Renten- oder Unfallversicherungen, Arbeitgeber*innen oder die Arbeitnehmer*innen selbst. Die meisten Job Coaches sind bei kirchlichen oder gemeinnützigen Organisationen, Wohlfahrtsverbänden, Fachdiensten, Privatunternehmen oder Werkstätten für behinderte Menschen angestellt. Finanziert werden Job Coaches übrigens aus der so genannten Ausgleichsabgabe. Die müssen Unternehmen zahlen, wenn bei mehr als 20 Mitarbeiter*innen nicht mindestens fünf Prozent der Stellen mit schwerbehinderten Beschäftigten besetzt werden.

Wie sieht das Ganze nun in der Praxis aus?

An der HAWK Hildesheim wurde in den letzten Jahren im Projekt JADE (Jobcoaching zur Arbeitsplatzsicherung Definieren und Evaluieren) unter der Leitung von Prof. Ulrike Marotzki erforscht, wie, von wem und unter welchen Voraussetzungen das Instrument Job Coaching bundesweit genutzt wird. Die Ergebnisse, die seit Anfang 2020 vorliegen, sind hochinteressant. Job Coachings fanden bisher eher im öffentlichen Dienst sowie im Gesundheits- und Sozialbereich statt, und dort in Großunternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten und einer konstanten Beschäftigungssituation. Etwa 37% der Arbeitnehmer*innen, die ein Job Coaching in Anspruch nahmen, galten als psychisch behindert; prozentual folgten Arbeitnehmer*innen mit Lernbehinderungen (knapp 22%) beziehungsweise neurologischen Behinderungen (knapp 20%). Bisher konzentriert sich der Einsatz des Instrumentes Job Coaching vorwiegend auf langjährige Beschäftigungsverhältnisse: Die mit knapp 26% beziehungsweise 23% größten Empfängergruppen der Coachings befanden sich zwischen 11-20 Jahren beziehungsweise länger als 20 Jahre im jeweiligen Unternehmen. Sehr wichtig scheint auch die Beteiligung der direkten Vorgesetzten und Arbeitgeber*innen zu sein: Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass diese auf die Zielsetzung zu Beginn eines Job Coachings mehr Einfluss hatten als die Job Coaches selbst, sogar mehr als die Arbeitnehmer*innen. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass langfristig zufriedenstellende Lösungen nur in Zusammenarbeit und über firmeninterne Hierarchien hinweg entwickelt werden können. Über 80% ihrer Arbeitszeit verbrachten die Job Coaches direkt am Arbeitsplatz ihrer Klient*innen; das beinhaltete auch die Gespräche mit Kolleg*innen und direkten Vorgesetzten.

Richtig spannend wird es, wenn es um die gemessenen Ergebnisse von Job Coachings geht: Die Studie zeigt, dass knapp 80% der zuvor als gefährdet angesehenen Arbeitsplätze erhalten werden konnten. Eingedenk der Tatsache, dass es sich dabei hauptsächlich um langjährige Arbeitsverhältnisse handelte, muss man das Potential bedenken, welches Job Coachings haben können, die gleich zu Beschäftigungsbeginn erfolgen: Sie sind eine große Chance, von vorne herein Strukturen zu schaffen, die nachhaltig wirken und ein langsames “Ausbrennen” über Jahre womöglich verhindern können. Ein ebenfalls extrem wichtiger Punkt: Das Verständnis für behinderungsbedingte Einschränkungen konnte durch die Job Coachings in den Unternehmen signifikant erhöht werden. Nach Beendigung der Coachings mussten die Integrationsfachdienste deutlich seltener oder gar nicht mehr tätig werden – auch das ist ein starker Indikator für die positive Schlagkraft, die dieses Instrument entwickeln kann.

Fazit:

Job Coachings sollten branchenübergreifend als zugängliche, kostenneutrale und effiziente Maßnahme begriffen und etabliert werden: Sie sind in der Lage, von Anfang an passgenaue Strukturen zu schaffen, kommunikative Hürden abzubauen, Vorurteile und Klischees auszuräumen, die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz zu erhalten und zu fördern – und so einen wichtigen Beitrag zur gleichberechtigten Teilhabe aller am Arbeitsleben (und damit an der Gesellschaft) zu leisten.

 

Zur Autorin

Magdalena Rümenap arbeitet in Göttingen als Case Managerin und systemische Beraterin in der beruflichen Rehabilitation von jungen Menschen mit seelischen und psychischen Behinderungen. Der Hauptteil ihrer Klient*innen sind Autist*innen. Am ifas Institut für angewandte Sozialfragen werden die Klient*innen in 12 Berufen ausgebildet bzw. in ihrer betrieblichen Ausbildung auf dem ersten Arbeitsmarkt unterstützt.

Beitragsbild: Andi Weiland | Gesellschaftsbilder.de