Herr B* ist Koch in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen in einer deutschen Großstadt. Er wendete sich mit diesem Erfahrungsbericht aus der Praxis an uns.
„Ich bin Koch in einer Kita. Die Küche, in der ich arbeite, ist eine Werkstatt für Menschen mit geistigen Behinderungen und psychischen Erkrankungen. Im Küchenteam bin ich der Gruppenleiter von vier weiteren Personen. Wir versorgen ungefähr 200 Kinder am Tag. Unsere Arbeit ist körperlich anspruchsvoll und gefährlich. Scharfe Gegenstände, heiße Gegenstände, giftige Flüssigkeiten, schädliche Dämpfe, schwere Gewichte und komplizierte Bewegungen – all das gehört zu unserem Arbeitsalltag.
Ich habe mich für diese Stelle entschieden, weil ich gerne eine soziale Arbeit mache. Als gelernter Koch hatte ich es satt, für privilegierte Menschen Statussymbole zuzubereiten, wollte aber weiter lecker kochen. Außerdem wünsche ich mir ein gutes Arbeitsklima, in dem alle achtsam und rücksichtsvoll miteinander umgehen. In der klassischen Gastronomie weht ein anderer Wind: Ableismus, Rassismus, Sexismus. Ich hatte die Schnauze voll.
In meinem jetzigen Küchenteam ist das zum Glück ganz anders. Meine Kolleg:innen machen selbst diskriminierende Erfahrungen, nicht zuletzt durch das System, in das sie hineingezwängt werden und das meinem Empfinden nach nicht dazu beiträgt, aus diesem herauszukommen. Mit diesem System meine ich staatlich geförderte Einrichtungen, die Menschen mit Einschränkungen nicht integrieren, sondern ausschließen und unsichtbar machen. Der „sekundäre“ Arbeitsmarkt ist dafür ein Beispiel.
In Werkstätten werden Menschen mit einem Hungerlohn abgespeist. 235€ im Monat für 40 Wochenstunden ist ganz klar moderne, soziologisierte Ausbeutung. Man könnte entgegnen, dass diese Menschen Sozialleistungen erhalten, doch dafür müssen sie immer wieder stressige Behördengänge auf sich nehmen. Das erzeugt eine Abhängigkeit und ermöglicht kein selbstbestimmtes Leben. Eigentlich sollten Werkstätten Menschen auf den ersten Arbeitsmarkt vorbereiten. Tatsächlich schaffen es aber nur sehr wenige Beschäftigte in einen richtig bezahlten Job.
Durch die Corona-Pandemie kamen in unserer Einrichtung weitere Ungleichbehandlungen hinzu. Bis vor kurzem bekam nur ich Corona-Tests zur Verfügung gestellt, meine Kolleg:innen mit Behinderungen nicht. Sie sollen einfach keinen Kontakt mehr mit den Kindern haben, so die Anweisung unseres Arbeitgebers. Die Begründung lautete, die Landesregierung habe noch keine Tests geliefert. Das soziale Unternehmen schob die Verantwortung für ihre Beschäftigten einfach ab. Uns blieb der Ungehorsam. Die Erzieher:innen der Kita haben eigenes Test-Personal und boten an, uns mittesten zu lassen. Das verbot unsere Einrichtung, wir taten es trotzdem. Die Ansteckungsgefahr an unserem Arbeitsplatz ist schließlich sehr hoch. Wer will schon gerne zum Superspreader in einer Kita werden?
„Bis vor kurzem bekam nur ich Corona-Tests zur Verfügung gestellt, meine Kolleg:innen mit Behinderungen nicht.“
Inzwischen sind die Corona-Tests eingetroffen, wir sollen aber „sparsam“ damit umgehen. Die uns vorgesetzte Sozialarbeiterin verlangt von mir, dass ich meine Kolleg:innen anlüge und sie davon überzeuge, dass sie keine Corona-Tests brauchen. Außerdem fragt sie die Beschäftigten nach ihrem Privatleben aus, obwohl diese das nicht wollen. Ich finde das übergriffig. Nach manchen Gesprächen zwischen ihr und meinem Küchenteam konnte ich spüren, wie traurig oder wütend manche waren. Das ist keine gute Voraussetzung für Integration. Wie soll der Mensch sich einer Gesellschaft zugehörig fühlen, wenn Vertrauenspersonen die Unterstützung verwehren und ihr empathisches Vermögen zur Manipulation umkehren?
Das eigentliche Problem liegt aber letztlich an der kapitalistischen Orientierung von größeren sozialen Unternehmen: Je mehr Menschen mit Behinderungen dort arbeiten, desto mehr Geld gibt es. Das wird in Ausbau und Vergrößerung investiert, ohne dabei Perspektiven für die Menschen zu schaffen. Die versprochene Anerkennung und die Entstigmatisierung einer Behinderung wird nicht geleistet. Sie bieten nur mehr ein ausbeutendes Arbeitsverhältnis, das die Menschen klein hält, um Profite zu erwirtschaften! Deshalb fordere ich die Umstrukturierung oder Auflösung von großen sozialen Einrichtungen.
Foto: Andi Weiland|Gesellschaftsbilder.de
*Name geändert